Bremen, Hannover, Berlin, Pilsen und Prag in Tschechien, Klaipeda in Litauen, Locronan in der Bretagne, London und New York sowie Peking und Shenyang – das sind die Orte, an denen Frauke Beeck fotografische Aufnahmen gemacht hat, die als Motive ihrer Spraybilder dienen. Seit Ende der 1990er Jahre arbeitet sie bevorzugt mit Spraytechnik, zu der sie eine unbestimmte Leidenschaft entwickelt hat.
Ein besonderes Augenmerk legt sie in ihren Spraybildern auf die in den Städten präsente populäre Kultur. Straßenfeste, Karneval, Konzerte, Straßenmusiker, öffentliche Versammlungsplätze, Ausstellungsgebäude, Prozessionen, Sportszenen, Parkszenen: die Handlungsorte ihrer Bildwelt sind immer öffentlich und reflektieren unmissverständlich das städtische Leben und Miteinander der modernen westlichen Welt. Oft sind es junge Menschen, die den Stadtraum bevölkern.
Die Motive für die Städtebilder entstammen dabei einer eher unbewussten Auswahl. Es geht ihr nicht um die Wiedergabe pittoresker oder touristisch attraktiver Orte, sondern eher um beiläufige Orte und Motive sowie kulturelle Events, die teilweise autobiografische Erlebnisse reflektieren. Auch in dieser Hinsicht wendet sie sich von einer traditionellen Städtedarstellung ab.
Nicht das Spektakuläre, sondern das Nebensächliche, eher Beiläufige, ja das persönlich Erlebte wird gezeigt. Wie hat Frauke Beeck selbst formuliert: „Nichts ist zu gering, um dargestellt zu werden.“ Immer haben diese Bilder des städtischen Raumes eine gewisse Allgemeingültigkeit und transportieren ein zeitgenössisches modernes Lebensgefühl von besonderer Innigkeit.
In ihren Kompositionen reflektiert sie die Ästhetik und die Strategien der Pop Art, bei der die Bildmotive dem Alltag, der Konsumwelt, der Werbung und den Massenmedien entnommen werden. Schon bei ersten Sprayarbeiten wird die Vorliebe für die Kombination von Text und Bild erkennbar. Zudem begibt sich Frauke Beeck im Kern ihres künstlerischen Schaffens auch gern über die Grenzen traditioneller Kunsttechniken und Inhalte hinweg in die sogenannten „Niederungen“ der Populärkultur.
Die Spraybilder erinnern vordergründig an Graffiti, haben mit ihnen aber lediglich das Spray gemeinsam. Graffiti ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Elemente, die aus Bildern, Schriftzügen oder sonstigen Zeichen bestehen und mit oder ohne Genehmigung im privaten oder öffentlichen Raum gesprüht werden. Besonders an Wänden, Stromkästen, Telefonzellen, U-Bahnzügen, Verkehrsschildern, Stadtmöblierung finden sich Graffitis, die aufgrund der oftmals fehlenden Genehmigung als Vandalismus gelten. Aus dem Graffiti heraus sind inzwischen Urban Art oder Street Art entstanden und haben sich Zugang in die Sammlungen von Museen verschafft. Die Bilder von Frauke Beeck sind aber dezidiert keine Graffitis. Nie stand ihr der Sinn nach illegalem Sprayen, obgleich sie auch Häuserwände bemalt und besprayt hat – aber immer im offiziellen Auftrag. Ihre Spraybilder sind stets auf feste Bildträger mit Gemäldecharakter gesprayt.
Autodidaktisch hat sie sich der Spraytechnik genähert und in eine hochdifferenzierte Virtuosität überführt. Mit Lack- oder Neonspray sprüht sie auf Acrylglas, Papier oder Aluminium. Mit Schablonen und Abklebung gestaltet sie die einzelnen Bildsegmente zu stimmigen Kompositionen. Aber auch die Zufälligkeit des Sprayprozesses, Farbverläufe, die nicht geplant sind, greift sie gern auf und bezieht sie in die Gestaltung der Bilder ein. Die Spraybilder entstehen in einem vielschichtigen Prozess von Überlagerungen der Farbflächen. Dieses Über- und Nebeneinander der Farben wird vor der Ausführung lange durchdacht, dann aber in einem relativ spontanen schnellen Arbeitsprozess auf die Acrylscheibe gesprayt.
Die hohe Attraktivität des Acrylglases als Bildträger liegt in der Durchlässigkeit des Materials. Die Bilder erlangen eine ähnliche Transparenz, eine außergewöhnliche Farbbrillanz und Ausdruckskraft wie traditionelle Hinterglasmalereien, wobei Frauke Beeck allerdings auf begrenzende Konturen verzichtet.
In vielen Kompositionen bevorzugt sie das Zusammenspiel aus Text und Bild. Das alles muss keinen Sinn geben und viele ihrer Bilder sind deshalb auch nicht im üblichen Sinne zu deuten. Sie verführen den Betrachter aufmerksam hinzuschauen, die Orte gegebenenfalls zu identifizieren, individuell Erlebtes zu reflektieren oder sich den Assoziationen, die sich aus Text und Bild ergeben, auszuliefern.
Dieses Spiel als Bild und Schrift findet in den sogenannten Plakatabrissen, die seit 2010 entstehen, eine besondere Ausdrucksform. Frauke Beeck knüpft hier an die Tradition der Décollage der 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts an. Damals waren für einige Künstler die von Passanten zerstörten Plakate im Stadtraum das Ausgangsmaterial für die Herstellung neuer, ästhetisch reizvoller Kunstwerke. Durch das Abreißen der Plakate entstehen neue Bilder aus den drunter liegenden Schichten. Bild steht gegen Bild, Schrift gegen Schrift und damit Aussage gegen Aussage. Nachrichten von gestern werden freigelegt und werden zu Aussagen von heute. Wortfetzen generieren neue Sätze surrealer Poesie.
Die Abrissbilder sind Abbilder städtischer Wirklichkeit und verweisen gleichzeitig auf die Ambivalenz von Lebendigkeit und rastloser Vergänglichkeit städtischen Lebens. Die Fragmente aus Schrift und Bild in den Abrissbildern, deren Motive Frauke Beeck im tschechischen Pilsen oder in Berlin gefunden hat, ergeben zudem ein ausgesprochen ästhetisches Formen- und Farbenspiel, das ein weiteres Mal von den Möglichkeiten der verführerischen Schönheit der Spraytechnik zeugt.
Wiebke Steinmetz 2015
Spraybilder zwischen Graffiti und Pop-Art
Frauke Beeck arbeitet in einer speziell von ihr entwickelten
Spraytechnik, die vordergründig an die Graffitikunst westeuropäischer
Großstädte erinnert und gleichzeitig einen eigenständigen authentischen
Beitrag zur Popkultur und Malerei des ausgehenden
20. Jahrhunderts darstellt. Das Besondere der Arbeitsweise von Frauke
Beeck ist die Übertragung der Stilelemente der Graffitikunst auf
traditionelle Themen der Malerei und auf Themen der Gesellschaft, die
für Malerei wenig geeignet erscheint. Diese Transformation gelingt durch
die perfekte Beherrschung einer verfeinerten Spraytechnik überzeugend.
Graffitis sind gemeinhin gekritzelte oder mit Farbsprühdosen an
Hausfassaden, Telefonzellen, WC-Wänden und besonders auch an Eisenbahn-
und U-Bahnzügen gesprayte Bilder, die in einer allgemeinverständlichen,
reduzierten Bildsprache Text und Bild wiedergeben. In den sechziger
Jahren entwickelte sich die Graffitikultur von New York ausgehend in die
gesamte westliche Welt. Die Sprayarbeiten sind Botschafter einer
suburbanen Jugendkultur. Um 1980 wurden Graffitis salonfähig und
zusammen mit Rap und Breakdance bestimmten sie den modischen Zeitgeist.
Graffitis wurden auf Leinwände gesprüht und in Galerien kommerziell
angeboten. Der Aufstieg in den Kunstbereich war damit vollzogen. Die
„Kultfigur“ der Graffitikultur war der 1990 verstorbene
amerikanische Künstler Keith Haring. Seine Graffiti sind heute ein
Oberbegriff für viele thematisch und gestalterisch unterschiedliche
Erscheinungsformen. Durch die zunehmende Kommerzialisierung verlor das
Graffiti jedoch seine kreative und politische Sprengkraft.
Diese historische Entwicklungslinie reflektierend hat sich Frauke Beeck
in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Spraytechnikverfahren
auseinandergesetzt. Sie sprayt vorzugsweise auf Acrylglas - einem
innovativen Bildträger, der hervorragend mit der Modernität der
Spraytechnik korrespondiert. Als Motive wählt sie Bilder aus Büchern,
von Fotos, aus Zeitschriften oder auch von selbst gedrehten
Video-Stills.
Frauke Beeck reflektiert in ihren Bildern die Wirklichkeit des 21.
Jahrhunderts und gleichzeitig unterzieht sie medientechnisch geschaffene
Bilder einer kritischen Befragung, indem sie die Motive in
ästhetisierender und höchst artifizieller Weise in das Medium der
Malerei überträgt. Dieser Prozess findet bewusst in einer an der Pop-Art
orientierten Weise statt, in einer Hinwendung auf die banalen
Gegenstände des Alltags und die Konsumobjekte der Massengesellschaft,
die als Bildmotive in der Malerei auftauchen und somit eine elementare
Realitätsannäherung bedeuten. Häufig verwendet sie Fotos als Vorlagen.
Eine Reihe von Frauke Beecks Arbeiten zeigt Bilder der Großstadtkultur
in Schwarz-Weiß-Braun-Tönen, z.B. von London, die auch Medienbilder sein
können. Mit eingängigen, aus Werbung und Konsum wohlvertrauten
Formenvokabular erhalten die Bilder eine erstaunliche
Allgemeinverständlichkeit. In kleinteiliger Feinarbeit werden die Motive
auf die Bildträger übertragen und bekommen durch die Spraytechnik einen
veränderten Charakter: Sie wirken plakativ, ohne jedoch die
oberflächliche Gestaltung von Werbebildern zu besitzen.
In einer Serie sprayt Frauke Beeck Bilder, die wie Zeitungsbilder mit
dazugehörigen Bildunterschriften erscheinen. Das Layout ist entsprechend
den Print-Medien angelegt, nur gehören die Bilder und Texte ursächlich
nicht zusammen. Text und Bild stehen in einem spannungsvollen, teilweise
auch absurden Verhältnis. Durch die Übertragung dieser Bilder in das
Medium des Spraybildes, was häufig mit bewussten Veränderungen der
Farbigkeit geschieht, werden die Medienbilder eigentümlich aufgewertet,
künstlerisch modifiziert und in einen neuen Wirkungszusammenhang
gestellt.
Viele Motive der Spraybilder stammen aus der Musikszene. Bevorzugt sind
es Musiker auf der Bühne und das Publikum während der Konzerte, das
gezeigt wird. Die Schilderungen sprechen mit authentischer Wiedergabe
von der besonderen Atmosphäre bei Popkonzerten, die mit der Übertragung
in die traditionelle Malerei einen divergierenden Charakter und
unpassende Aufwertung erfahren würden. In der Spraytechnik hingegen
wirkt das Sujet authentisch umgesetzt. Das Momenthafte des intensiven
Erlebens wird verifiziert.
Neben den Darstellungen aus der Musikwelt verführt Frauke Beeck den
Betrachter aber auch mit idyllisch wirkenden Bildern. Die Schönheit der
Bilder erschließt sich aus der Wahl der Motive und die perfekte
Gestaltung der Oberfläche in Spraytechnik. Bei genauerer Betrachtung
wird jedoch klar, dass die Idylle nicht trägt und das Ganze nur ein
(Erinnerungs)- Bild sein kann, das in der Wirklichkeit nicht existiert.
Eine ähnlich übersteigerte Lieblichkeit - und hier eindeutig
formuliert bis an den Rand des Kitsches - findet sich in den
Tierbildern mit Kaninchen, Küken, Katze oder Lamm. Die Süßlichkeit der
Darstellung appelliert an tiefmenschliche Impulse und besticht wiederum
durch die perfekte Nachahmung von Materialität, wie beispielsweise des
Felles oder Gefieders der Tiere. Im Gegensatz zu den Bildern der Pop-Art
von David Hockney, Roy Lichtenstein oder Andy Warhol, die in einer
distanzierten, kühl berechnenden Haltung, z.B. jede die Persönlichkeit
verratende Pinselspur sorgfältig vermeiden, hat Frauke Beeck eine
individuelle Spraytechnik entwickelt, die einen unnachahmlichen,
sinnlich berührenden Duktus besitzt.
Neben den eher kleinformatigen Spraybildern auf Acrylglas hat sich die
Künstlerin in jüngster Zeit auf ein Projekt konzentriert, das auf die
Wurzeln der Graffitikunst verweist. Schon lange hegte sie den Wunsch,
zusammen mit einem Graffitisprayer ein Bild für eine große Wand zu
gestalten. Bereits vorher hat Frauke Beeck Wandgestaltungen übernommen,
jedoch nicht mit dem künstlerischen Anspruch dieser Projektarbeit. Im
Rahmen der Projektförderung des Senators für Kultur in Bremen sollte das
Wandbild zusammen mit dem Sprayer Tobias Kröger ausgeführt werden, wobei
die gestalterische Arbeit in den Händen von Frauke Beeck und die
schriftartigen Graffitis von Tobias Kröger hinzugefügt wurden. Das für
2005 geplante Projekt konnte in dem Jahr nicht realisiert werden,
vorgestellt wurde es jedoch in einer verkleinerten Version auf einer
Wand in der Städtischen Galerie im Buntentor in Bremen im Zusammenhang
mit der Ausstellung Unvergeßliche Momente (2006).
Auf das Wandbild in der Galerie folgte die Ausführung als Auftragsarbeit
auf eine Häuserwand am Bremer Rembertikreisel / Heinrichstraße. Das
intime, kleinformatige Spraybild, das als Vorlage für das Wandbild
gedient hatte, emanzipiert sich zum öffentlich sichtbaren Großbild, das
sich zusammen mit den Graffitikritzeleien harmonisch in das Stadtbild
einzufügen scheint. Die Forderung der Pop-Art nach der Verbindung von
Kunst und Leben wird erfüllt.
Dr. Wiebke Steinmetz 2006