Meta Marina Beeck: Du hast viele Techniken und auch verschiedene künstlerische Gattungen erprobt und bist jetzt bei den sogenannten Spray Paintings angelangt. Wie ist deine künstlerische Entwicklung zu sehen, angefangen von frühen Webarbeiten zu den heutigen Spray Paintings? Wann hast du dein erstes Spray Painting gemacht?

Frauke Beeck: Mein erstes Spray Painting entstand 1999. Das war eine Arbeit, die auf einer Collage basierte. Die Collage bestand aus einer Werbetüte, die ich mit neuen Worten und neuen Formen kombinierte und im nächsten Schritt auf einen Acylbildträger mit Sprayfarbe übertragen habe. Wie ich dazu komme, hat wohl mit meiner Begeisterung am Experimentieren mit Materialen, Formen und Farben zu tun. Meine frühen Webarbeiten – ursprünglich mit Wolle, gefärbten Stoffen später mit Stahlschnüren und -drähten – sind sozusagen der Anfang dieser Arbeitsweise. Hier sehe ich den Aspekt der Materialität als Fortführung zu meinen heutigen Arbeiten. Neben den Webarbeiten mit Wolle und Stahl, kamen in den folgenden Jahren auch Materialien wie Nylon und Angelschnur hinzu, mein Interesse galt also zusehends synthetischem Material, wobei der Aspekt der Transparenz und Räumlichkeit eine Rolle spielt. Mit den Spray Paintings vollzog sich dann der Schritt hin zur Malerei und das Arbeiten auf Acryl.

 

ABC, 2000, Stahlgewebe, 100 x 70 x 5 cm

MMB: Wie verhält es sich bei dieser Entwicklung mit den Motiven, du hast gerade gesagt, das erste Spray Painting entstand 1999, wie sah es aus?

FB: Der Titel der Arbeit “BLUMEN-TRANSIT-EUROPA” stellt eine Wort-Neuschöpfung dar, die zu tun hatte mit der Werbung einer Modefirma. Und “transit” als Begriff symbolisiert eine Öffnung von Ost nach West wie auch eine Bewegung die hin- und hergeht. Transitverkehr oder –Passagier waren  zur Zeit der DDR geläufige Begriffe.

 

BLUMEN TRANSIT-EUROPA, 1999 Lackspray auf Acryl, 58 x 46 cm

MMB: Wie wählst du die Werbematerialien aus? Sind das ästhetische Kriterien? Ich weiß, dass du Tüten des Ölkonzerns Shell verarbeitet hast, die auch eine politische Ebene mitbringen. Spielt das eine Rolle? Wie kommen dann die Geschichten, die du in deinen Arbeiten erzählst, dazu?

FB: Meine Arbeiten haben oft mit Humor zu tun. Es gibt tatsächlich auch kleine Fortsetzungsromane, die ich als Collagen gestaltet habe, immer – wie gesagt – mit viel Humor, aber auch ein Zeitgeschehen kommentierend oder mit meiner Biografie verknüpft. Am Anfang stehen die Werbebilder, die ich gefunden habe, denen ich ein Gewicht gebe und dann kommt die Geschichte dazu. Zum Beispiel die Figuren Damon und Susie, die bestimmte Eigenschaften haben und innerhalb meiner Collage etwas erleben und dem auch Ausdruck geben.
Als die Damon-Arbeit mit der Shell Tüte entstand, da war der Ölkonzern und seine Machenschaften in Afrika in der Tagespresse. Insofern haben das Zeitgeschehen und die Medien Einfluss auf meine Themen und Motive. Ich setzte dann zum Beispiel das Werbelogo von einem Konzern wie Shell in einen neuen Zusammenhang.

 

www.frauke-beeck.de/de/text-6.html

MMB: Du sagtest gerade, dass einige deiner Motive autobiografisch sind, in dem Sinne, dass sie Reisen dokumentieren wie in der London Serie. Eines der Bilder aus dieser Serie zeigt den Trauermarsch zur Beerdigung der Queen Mum 2002, ein anderes ein riesiges Transparent mit der Botschaft “Imagine” am Picadilly Circus als Hommage an John Lennon und der Modeladen von Vivienne Westwood in der King’s Road 430. Kommen die Vorlagen alle von dir, bzw. aus deiner Kamera? Es gibt auch noch eine Schaufenster Serie und hier auch die Frage zu dieser Entscheidung eine Serie zu machen: Entstehen diese per Zufall oder siehst du das als autobiografisches Material, was dann zu einem Spray Painting führt?

FB: Wenn ich auf Reisen bin, dann führe ich ein zeichnerisches Tagebuch. Da entstehen einfach während der Reise täglich  Zeichnungen,  denen kommt dann ein gewisser Dokumentationscharakter der Reise zu. Das ist für mich eine sehr persönliche Fingerübung, etwas, das neben den anderen Arbeiten entsteht. Das sind aber Zeichnungen, die ich bisher noch nicht ausgestellt habe. Spray Paintings entstehen später im Atelier nach Vorlage von meinen Zeichnungen oder Fotos, die nicht unbedingt von mir selbst gemacht wurden, oft bitte ich jemanden, ein bestimmtes Motiv für mich zu fotografieren.
Den Trauermarsch anlässlich der Beerdigung der Queen Mum habe ich selbst miterlebt. Was mich an diesem Motiv interessiert hat, war nicht die Beerdigung an sich, sondern dieser Aufmarsch des Imperiums, dieser rot-schwarz gekleideten Guarden und deren Rhythmus und Choreographie. Das britische Imperium, was zu diesem Anlass Form annimmt und sich zeigt. Das ist etwas, dem ich Ausdruck verleihen möchte. Es geht hier also nicht um eine Form der Dokumentation, sondern vielmehr um das Aufzeigen von irgendwelchen Merkmalen, von irgendwelchen Dingen, die ich meine zu erkennen.
In einem anderen Bild mit dem Titel “Kew Garden” (2011) möchte ich nicht nur eine schöne Parkanlage im Südwesten Londons abbilden, sondern das Zeichen einer Dynastie und ihren Umgang mit Natur. Indem ich Worte bzw. einen von mir verfassten Text dem Bild einverleibe, versuche ich, einen Ausdruck zu finden, der nie nur Dokumentation ist, sondern auch hinterfragt und aufdeckt.

 

Queen Mum, 2006, Lackspray auf Acryl, 178 x 101 cm

MMB: Die Schaufenstermotive oder eben auch die London Serie sind in sich geschlossene Serien. Wann ist eine Serie beendet, wann kommen noch Bilder hinzu, wie gehst du damit um? Hast du dann irgendwann keine Lust mehr auf Schaufensterbilder?

FB: Im Fall der Schaufensterbilder handelte es ich um einen Auftrag für eine Ausstellung. Ich hatte mich früher schon für das Thema interessiert und habe die Serie dann aber beendet, als die Ausstellung stand. Ich arbeite nicht besonders schnell, da die Bilder viel Zeit beanspruchen. Durch diesen langsamen Prozess, entstehen bei mir auch nicht so viele Bilder. Ein Thema, an dem ich mich abarbeite, umfasst dann eben nicht hundert Bilder, sondern nur zehn. Oft entstehen auch innerhalb einer Serie Arbeiten, die gar nicht in den Zyklus passen, wie kleine Neonsprayarbeiten, Vorstufen und Skizzen oder andere Auffassungen von beispielsweise Schaufenstern.  Der äußere Rahmen der Ausstellung gab den Umfang der Schaufenster Motive vor und die Reise nach London ergab eine andere Serie. Natürlich gibt es auch Themen, die mich das ganze Leben begleiten.

MMB: Nochmal zu den Arbeiten, die du vor den Spray Paintings gemacht hast: Es gibt eine Arbeit, die gewebte Tortenstücke zeigt, und in einer früheren Serie hast du auch mit Schweinefenstern von alten Bauernhöfen experimentiert. Wie kommt man auf solche Themen?

FB: Das sind  Themen, die immer wieder von außen an mich herangetragen wurden. Die Sache mit den Schweinefenstern ist einfach die: Ich wohne auf dem Lande und vor 30 Jahren wurden viele Bauernhäuser abgerissen und diese gusseisernen Schweinefenster sollten auch entsorgt werden. Ich habe die Fenster gesammelt, mit dem Bohrer bearbeitet und mit Stahl ein Stahlgewebe hergestellt, um dem ganzen Dauer zu verleihen. Das hat mich interessiert, auch als Kommentar zum Wandel auf dem Lande und dem Sterben der Bauernhöfe.

MMB: In vielen deiner Arbeiten pflegst du auch eine Art Austausch mit Auftraggebern oder Technikern. Bei den Spray Paintings arbeitest du mit einer Firma zusammen, die deine Acryl- oder  Aluminiumgründe herstellen. Gleichzeitig gibt es auch seit vielen Jahren die Auftragsarbeit Wümmekalender. Dabei handelt es sich um einen Kalender als Werbeträger für eine Druckerei. Inwiefern bist du durch diese Zusammenarbeiten auf neue Ideen gestoßen? Spielen solche Kooperationen überhaupt eine Rolle für dein Arbeiten?

FB: Doch, ich arbeite immer gerne mit Auftraggebern zusammen. Ich sehe mich auch in meiner Position als Künstlerin ein stückweit als Unternehmerin. Die Zusammenarbeit und dieses gemeinsame Entwickeln eines Projektes, der damit verbundene Input, gefallen mir sehr. Herausforderungen ergeben sich durch bestimmte Beschränkungen oder Aufgabenstellungen. Die Zusammenarbeit mit Fachleuten suche ich, da ich sehr viel mit Materialien experimentiere und den Rat benötige. Oft geht es in meinem Bereich um Pionierarbeit und da ist eben eine solche Zusammenarbeit in vieler Hinsicht sehr wichtig. Fragen, die dann bei der Kalenderherstellung auftauchen, sind die nach dem Verhältnis von Original und Serie sowie den Druckfarben, auch technische Entwicklungen wie die Digitalisierung spielen hier eine Rolle.

 

Schaufenster I und II, 2008, Neonspray auf Papier, 22,5 x 33 cm

MMB: Thematisch geht es beim Wümmekalender eher um die Region und die Natur. Du verstehst das Arbeiten an diesem Kalender aber nicht nur als reinen Auftragsdienst, sondern auch als Experiment.

FB: Der Wümmekalender hat sich innerhalb von nun mehr als 30 Jahren von einer anfangs  ungeliebten Aufgabe zu einer sehr geschätzten entwickelt. Jedes Jahr mache ich diesen Auftrag. Wenn man 30 Jahre an einem Auftrag arbeitet, dann bedeutet das auch ein hohes Maß an Flexibilität, Entwicklung von neuen Fragestellungen und der permanenten Suche nach neuen, interessanten Themen. Es ist, wie du ja sagtest, durch den regionalen Fokus sehr auf den kleinen Bereich rund um die Wümme beschränkt.
Ich versuche Landschaft oder eben auch Heimat in Beziehung zu setzen zu Moderne, Romantik und experimentellen technischen Mitteln wie Spraylack. Wie kann man da in Beziehung treten? Gibt es da überhaupt eine? Wo finde ich einen Nenner zwischen diesen Polen? Mit diesen Fragen gehe ich an die dreizehn Bilder ran, die für den Kalender gebraucht werden. Das relativ kleine Format des Kalenderblatts, die überschaubare Zahl von dreizehn Blättern, nutze ich zum Ausprobieren neuer Techniken oder Thematiken. Durch die Veröffentlichung findet der Kalender dann auch jährlich sein Publikum. Das direkte Feedback, das man da bekommt, ist dann auch sehr interessant.

MMB: Du bist vor einigen Wochen aus Dalian wiedergekommen, wo du eine große Ausstellung im Modern Museum Dalian initiiert und durchgeführt hast. Seit vielen Jahren bist du Akteurin im Deutsch-Chinesischen-Austausch. Deine erste Ausstellung fand 1998 im Goethe-Institut Peking statt. Wie sehr hat sich China in den Jahren verändert?

FB: Meine erste Ausstellung in Peking fand zu einer Zeit statt, in der wir noch keinen Computer im Hause hatten. D.h., dass nachts Faxe mit China ausgetauscht  wurden und die Informationen äußerst gering waren. Das einzige, was  ich gesagt bekam, war: Kein Sex, keine Gewalt und keine Politik in der Kunst. Kurz vor Ausstellungsbeginn hörte ich dann, dass es chinesischen Künstlerinnen verboten sei, in der Öffentlichkeit Installationen zu zeigen. Daraufhin habe ich dann mein Programm umgestellt und meine Installation “Hundert kleine Schlachten” realisiert. “Hundert kleine Schlachten” basierten auf einer handschriftlichen Zeichnung der “Schlacht bei Austerlitz” von Napoleon. Mit Tisch, Schminkutensilien sowie Stuhl und der Zeichnung auf Tapete vervielfältigt habe ich dann einen Raum geschaffen. Die “Schlacht bei Austerlitz” vergleichbar mit den “Hundert kleine Schlachten” des Alltags. Meine Ausstellung hat damals großes Interesse erhalten, ich war eine der ersten deutschen Künstlerinnen, die überhaupt in China ausgestellt hat. 1998 gab es in Peking noch keine Galerien und keine Museen für zeitgenössische Kunst und eben auch keine öffentliche Kunstszene. Der Austausch mit den Künstlern fand in kleinen Privatwohnungen statt und Bilder wurden unter dem Bett hervorgezogen. Das war wahnsinnig spannend. Die vorherrschenden Themen in der Kunst waren Ein-Kind-Familie, der Einzelne und die Gesellschaft, die Verarbeitung der Kulturrevolution und der Mao-Ära. Das Sprechen über Kunst war vorhanden und der Austausch mit den Künstlern unglaublich inspirierend, so habe ich mich damals entschieden, Kunst aus China nach Bremen zu holen, auszustellen und im Gegenzug Bremer Künstler nach China zu bringen. So hat das angefangen. Dalian war meine fünfte Ausstellung in China. Heute ist das Leben dort sehr schnell, aber der Austausch in Kultur und Kunst ist leider nicht unbedingt einfacher geworden.

 

Hundert kleine Schlachten, Installationsansicht, Goethe-Institut Peking 1998

MMB: Du erzählst immer von den großen Herausforderungen, die du in China angetroffen hast, vor allem auch auf die Größe der Ausstellungshäuser bezogen. Wie hast du das für dich gelöst?

FB: Am Anfang meiner Kunstaktivitäten waren die Ausstellungsräume keine offiziellen Räume und ich bekam während der Ausstellungsvorbereitung wenig Informationen über die Räume, in denen die Ausstellung stattfinden sollte. Alles was ich wusste war, dass die Räume groß sind. Offizielle Räume sind dann geradezu gigantisch. Bei meiner zweiten Ausstellung, an der Teachers-University-Gallery in Peking im Jahr 2000, habe ich dann erste Erfahrungen mit solchen gigantischen Möglichkeiten gemacht. Die chinesische Seite verlangte nach einer 5m großen Wandarbeit, bzw. mir stand der Raum zur Verfügung eine solche Arbeit zu installieren. Das war eine wirkliche Herausforderung auch hinsichtlich Transport der Arbeit nach China und der Umsetzung mit meiner Spraytechnik. Ich habe dann für diesen Raum mein erstes Spray Painting auf Papier gemacht. In jeder Ausstellung in China habe ich übrigens eine Installation gezeigt, das war immer ein spannender Diskurs mit dem chinesischen Publikum.

MMB: Gibt es neue Ideen oder Experimente hinsichtlich der Materialität mit der du arbeitest, bleibt es beim Sprayen auf Acryl?  Es gibt mittlerweile Arbeiten, die den klassischen Bildraum sprengen. Bei neusten Arbeiten wie “Garden of Eden” gehst du auch wieder ins Installative.

FB: Ich komme ja von den Stahlgeweben, die ja durchaus auch als Raumobjekt funktionieren, zum Sprayen. Bei meinen Spray Paintings gibt es ein Hinten und ein Vorne und einen dreidimensionalen Raum im Bild durch das Acryl. Ich arbeite demnach die ganze Zeit schon mit dem Raum, daher ist dieses “über den Bildraum hinausgehen” für mich eigentlich eine konsequente Weiterführung.
Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass sich einige Arbeiten von mir wieder in Gewebe umsetzen lassen oder in Stickereien. Da würde sich ein Bogen schließen. Moderne Sprayarbeiten zurückführen zu der traditionellen Tätigkeit. Das ist derzeit aber noch ein Traum. 

MMB: Es gibt eine Wandarbeit von dir in Bremen, die du in Zusammenarbeit mit einem Graffiti-Sprayer - eigentlich das Feindbild der Stadt oder vieler privater Hausbesitzer – realisiert hast. In der Städtischen Galerie Bremen wurde das Wandbild auch als Installation bzw. Dokumentation umgesetzt. Wie oder was ist das für eine Erfahrung? Was verändert sich, wenn man auf einer Wand arbeitet?

FB: Es gibt nicht nur dieses eine Wandbild von mir. Diese Erfahrung sehe ich als konsequente Feldforschung. Als Künstlerin, die mit einem Sprayer kooperiert, macht das mich ja nicht zu einem Akteur, der nachts auf der Straße unterwegs ist und eventuell illegal Wände bemalt. Das Verhalten im Umgang mit dem Trägerobjekt, ob nun Plexiglas oder Wand, oder auch das Verständnis von Schrift und Worten, ist doch ein anderes. Dennoch gibt es viele Überschneidungen: Wort und Graffiti also sprayen und Schrift haben viel gemeinsam und so tauscht man sich auch aus. Die Wortwahl des Graffiti-Sprayers ist aber eine andere, es geht um Schriftgestaltung und weniger um Worte. Ich konzentriere mich dann doch eher auf den Inhalt.
Die Wandarbeit in der Heinrichstraße wurde aufgrund einer gewonnenen Ausschreibung der Kulturbehörde Bremen realisiert. Tobi und ich hatten damals viel Spaß, jeder brachte seine Musik mit während des gemeinsamen Arbeitens.

Das Gespräch fand am 15.07.2015 im Atelier der Künstlerin statt.